RECHTSANWALT IN VIETNAM DR. OLIVER MASSMANN UEBER FREIHANDELSABKOMMEN UND INVESTITIONSSCHUTZABKOMMEN EU-VIETNAM – WEITESTGEHEND LIBERALISIERTER MARKTZUGANG FÜR DIENSTLEISTUNGSSEKTOREN UND UNÜBERTROFFENE RECHTSSICHERHEIT:

I. ÜBERBLICK

Am 2. Dezember 2015, nach fast drei Jahren und 14 Verhandlungsrunden, gaben Präsident DonaldTusk, Präsident Jean-Claude Juncker und der vietnamesische Premierminister Nguyen Tan Dung denAbschluss der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen EU-Vietnam (EVFTA) bekannt.EVFTA ist ein Freihandelsabkommen der neuen Generation zwischen Vietnam und der EU. Am 26.Juni 2018 wurde EVFTA in zwei separate Abkommen aufgeteilt: das Freihandelsabkommen(EVFTA) und das Investitionsschutzabkommen (EVIPA). Im August 2018 schlossen die EU undVietnam die rechtliche Überprüfung EVFTA ab, wobei diese noch die Ratifizierung durch denEuropäischen Rat sowie die Zustimmung des Europäischen Parlaments benötigt, während die EVIPAnoch die zusätzliche Ratifizierung durch die Parlamente der einzelnen EU-Mitgliedstaaten erfordert.Am 30. Juni 2019 wurde in Hanoi EVFTA und EVIPA von der EU-Handelskommissarin CeciliaMalmstrom, dem rumänischen Wirtschaftsminister Stefan-Radu Oprea als Vertreter der EU,zusammen mit H.E. Premierminister Nguyen Xuan Phuc und vietnamesischen Regierungschefs,unterzeichnet. Der Premierminister brachte dabei seine Überzeugung zum Ausdruck, dass dasEuropäische Parlament, die Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und die vietnamesischeNationalversammlung EVFTA und EVIPA bald ratifizieren werden. Beide Handels- undInvestitionsabkommen wurden am 12. Februar vom Europäischen Parlament gebilligt. Am 30. März2020 wurde EVFTA dann vom EU-Rat genehmigt, so dass die Umsetzung der EVFTA unmittelbarbevorsteht, sofern die vietnamesische Nationalversammlung auf ihrer Sitzung im Mai ihreZustimmung erteilt. Ein Inkrafttreten der EVFTA im Frühsommer diesen Jahres ist daherwahrscheinlich. Anders jedoch bei der EVIPA, welche für das Inkrafttreten von den Parlamenten derMitgliedstaaten gebilligt werden muss und daher länger dauern wird. Beide Abkommen werden voraussichtlich erhebliche Vorteile für Unternehmen, Arbeitnehmer undVerbraucher, sowohl in der EU als auch in Vietnam, mit sich bringen. Das vietnamesische BIP wirddabei voraussichtlich um 10 bis 15 Prozent steigen, während für die Exporte in den nächsten zehnJahren ein Wachstum von 30 bis 40 Prozent zu erwarten ist. In der Zwischenzeit könnten dieReallöhne von Facharbeitern um bis zu 12 Prozent steigen, während sich die Gehälter der einfachenArbeiter um 13 Prozent erhöhen würden. Sobald EVFTA in Kraft getreten ist und dieRegierungspolitik und die institutionellen Reformen diese umgesetzt haben, werden VietnamsGeschäftsaktivitäten einen Boom erleben. Dennoch bleiben einige Herausforderungen weiterhinbestehen. In dem folgenden Kapitel wird der Rechtsausschuss von EuroCham die für ihre jeweiligenBranchen relevanten Themen aufzeigen und spezifische Empfehlungen aussprechen, um bestehendenBedenken Rechnung zu tragen.

II. MARKTZUGANG FÜR WAREN- UND DIENSTLEISTUNGEN

1. Allgemeiner Marktzugang für Waren- und Dienstleistungen

EVFTA ist das umfassendste und ehrgeizigste Handels- und Investitionsabkommen, welches die EUjemals mit einem asiatischen Entwicklungsland geschlossen hat. Es ist nach dem mit Singapurgeschlossenen Abkommen, das Zweite in der ASEAN-Region und wird die bilateralen Beziehungenzwischen Vietnam und der EU intensivieren. Vietnam wird dadurch Zugang zu einem potenziellenMarkt von rund 446 Millionen Menschen und einem Gesamt-BIP von 13.918 Milliarden US-Dollarhaben.Weiterhin werden Exporteure und Investoren aus der EU weitere Möglichkeiten haben, Zugang zueinem der größten und schnellsten wachsenden Länder der Region zu erhalten. Einem Anfang desJahres 2017 veröffentlichten Bericht zufolge, der 134 Städte weltweit umfasst, gehören Hanoi undHo-Chi-Minh-Stadt zu den zehn dynamischsten Städten. Nicht zuletzt aufgrund ihrer niedrigenKosten, der raschen Expansion des Verbrauchermarktes, des starken Bevölkerungswachstums und desÜbergangs zu Aktivitäten, welche eine beträchtliche Anzahl von Direktinvestoren anziehen. NachAngaben der Weltbank hat Vietnam mit einem BIP-Wachstum von 7,1% im Jahr 2018 und 6,7% zurJahresmitte 2019, eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Vergleichsweisezum Wachstum des BIP der USA, steigt das BIP Vietnams dabei fast doppelt so schnell.Darüber hinaus hat Vietnam die am schnellsten wachsende Mittelschicht der Region. Es wirderwartet, dass sich ihre Größe zwischen 2014 und 2020 fast verdoppeln wird (von 12 Millionen auf 33Millionen Menschen). Auch die superreiche Bevölkerung Vietnams wächst weltweit so rasant wiekeine andere und es besteht kein Zweifel daran, dass diese in den nächsten zehn Jahren zunehmendgrößer werden wird.2. Marktzugang für WarenBezüglich der Zölle ist zu beachten, dass nahezu alle, nämlich über 99 Prozent, entfallen werden.Diewenigen verbleibenden werden durch zollfreie Kontingente teilweise liberalisiert. Bei Inkrafttretendes Abkommens wird Vietnam als Entwicklungsland 65 Prozent des Wertes der EU-Exporte nachVietnam liberalisieren, welches etwa der Hälfte der Zolltarifpositionen entspricht. Die verbleibendenZölle werden im Laufe der nächsten zehn Jahre abgebaut. Dies stellt eine beispiellose, weitreichendeZollabschaffung für ein Land wie Vietnam dar, welches damit sein Streben nach einer tiefgreifendenIntegration und Handelsbeziehungen mit der EU unter Beweis stellt.In der Zwischenzeit stimmte die EU zu, die Zölle für 84 Prozent der Zolltarifpositionen und 71Prozent ihres Handelswerts für aus Vietnam eingeführte Waren unmittelbar nach Inkrafttreten vonEVFTA zu beseitigen. Innerhalb von 7 Jahren nach Inkrafttreten von EVFTA werden mehr als 99Prozent der Zolllinien für Vietnam abgeschafft worden sein. Im Vergleich zu der Reduzierung derZolllinien in Höhe von 95 Prozent, welche die ehemaligen TPP-Länder für vietnamesische Importeangeboten haben, ist diese Senkung weitaus umfassender. In der ASEAN-Region ist Vietnam derHauptexporteur von Waren in die EU. Allerdings ist der Marktanteil der vietnamesischen Produkte inder EU ist immer noch gering. Die am meisten von der EVFTA profitierenden Sektoren, werden dieseExportsektoren sein, für die früher hohe Zölle aus der EU erhoben wurden, wie beispielsweise solchefür Textilien, Schuhe und landwirtschaftliche Erzeugnisse. Die EU ist dabei auch ein guter Start fürVietnam, um andere Märkte zu erreichen.
Vietnam wird im Vergleich zu anderen derartigen Abkommen stärker von EVFTA profitieren, daVietnam und die EU als zwei sich unterstützende und ergänzende Märkte angesehen werden. Vietnamexportiert nämlich Waren, die die EU nicht selbst herstellt bzw. herstellen kann (z. B.Fischereierzeugnisse, tropische Früchte usw.), während die aus der EU importierten Produkte auchsolche sind, die Vietnam nicht im Inland produziert, darunter Maschinen, Flugzeuge und hochwertigepharmazeutische Produkte.Mit einem besseren Marktzugang für Waren aus der EU könnten vietnamesische Unternehmeneuropäische Materialien, Technologien und Ausrüstungen zu einer besseren Qualität und einembesseren Preis beziehen. Dies wiederum wird die eigene Produktqualität verbessern und eineübermäßige Abhängigkeit Vietnams von seinen anderen Haupthandelspartnern verringern.EVFTA wird als Grundlage für die EU angesehen, um weitere Freihandelsabkommen mit anderenLändern in der ASEAN-Region abzuschließen, um darauf folgend, ein Freihandelsabkommen vonRegion zu Region abzuschließen, sobald genügend Freihandelsabkommen mit einzelnen ASEAN-Ländern abgeschlossen wurden. Dieser Prozess könnte etwa 10-15 Jahre dauern. Vietnam sollte daherdieses Zeitfenster als Chance nutzen sich zu einem regionalen Drehkreuz zu entwickeln, bevorFreihandelsabkommen mit anderen Ländern in der Region geschlossen werden und in Kraft treten. 3. Marktzugang für EU-DienstleisterObwohl die WTO-Verpflichtungen Vietnams als Grundlage für die Dienstleistungsverpflichtungenvon EVFTA dienen, hat Vietnam nicht nur zusätzliche Teilsektoren für EU-Dienstleistungsanbietergeöffnet, sondern ist auch Verpflichtungen eingegangen, die über die in der WTO festgelegtenhinausgehen, um der EU den bestmöglichen Zugang zum vietnamesischen Markt zu bieten. Zu denTeilsektoren, die nicht Bestandteil der WTO sind, in denen Vietnam jedoch Verpflichtungen imRahmen der EVFTA eingegangen ist, gehören interdisziplinäre Forschungs- und Entwicklungsdienste(F & E); Pflegedienste, Physiotherapeuten und paramedizinisches Personal;Verpackungsdienstleistungen; Messen und Ausstellungen sowie Gebäudereinigungsdienste.Wenn diese Dienstleistungen internationale Standards erreichen, hat Vietnam die Möglichkeit,qualitativ hochwertige Dienstleistungen zu exportieren, welches nicht nur zu einer Steigerung desExportwertes, sondern auch der Exporteffizienz führt und somit zur Verbesserung der Handelsbilanzbeiträgt.III. ÖFFENTLICHES BESCHAFFUNGSWESENVietnam hat weltweit eine der höchsten Quoten der öffentlichen Investitionen im Verhältnis zum BIP(39 Prozent jährlich ab 1995). Bis jetzt hat Vietnam jedoch noch nicht zugestimmt, dass seinöffentliches Beschaffungswesen unter das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen(GPA) der WTO fällt. Nun hat sich Vietnam erstmalig im EVFTA dazu verpflichtet.Die EVFTA-Verpflichtungen im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens betreffen in ersterLinie die Verpflichtung, Bieter aus der EU oder inländische Bieter mit EU-Investitionskapital gleichzu behandeln wie vietnamesische Bieter, wenn die Regierung Waren erwirbt oder eine Dienstleistunganfordert, deren Wert über dem festgelegten Schwellenwert liegt. Vietnam verpflichtet sich, die
allgemeinen Grundsätze der Inländerbehandlung und Nichtdiskriminierung zu befolgen. Es wirdInformationen über geplante Beschaffungen und Informationen zu der Auftragsvergabe in Bao DauThau – Zeitung für öffentliche Aufträge – sowie Informationen über das Beschaffungssystem untermuasamcong.mpi.gov.vn und im Amtsblatt rechtzeitig veröffentlichen. Außerdem wird denLieferanten ausreichend Zeit eingeräumt, um Anträge auf deren Teilnahme und reagierende Angebotevorzubereiten und einzureichen und die Vertraulichkeit der Angebote zu wahren. EVFTA verlangtvon seinen Parteien auch, dass sie Angebote auf der Grundlage fairer und objektiver Prinzipienbewerten, diese nur auf der Grundlage von Kriterien bewerten und vergeben, die inBekanntmachungen und Ausschreibungsunterlagen festgelegt sind, und ein wirksames System fürBeschwerden und die Beilegung von Streitigkeiten schaffen. Diese Regeln verpflichten die Parteien,sicherzustellen, dass ihre Ausschreibungsverfahren den Verpflichtungen entsprechen und ihre eigenenInteressen schützen. Auf diese Weise kann Vietnam das Problem lösen, dass Angebote von billigen,aber qualitativ minderwertigen Dienstleistern gewonnen werden.Die öffentliche Beschaffung von Gütern oder Dienstleistungen oder einer Kombination davon, die diefolgenden Kriterien erfüllen, fällt in den Geltungsbereich der EVFTA-Regeln für die öffentlicheBeschaffung:KriterienEVFTAGeldwerte, die bestimmen, ob dieBeschaffung durch dieZentralregierung unter einAbkommen fälltAnfängliche Übergangsschwelle: 1,5 Millionen SZR (2,23Millionen US-Dollar)Nach 15 Jahren 130.000 Sonderziehungsrechte (SDRs)(191.000 US-Dollar)Beschaffung von Bauleistungendurch zentrale RegierungsstellenAnfänglicher Schwellenwert: 40 Millionen SZR (58,77Millionen US-Dollar)Nach 15 Jahren 5 Millionen SDRs (7,35 Millionen US-Dollar)Erfasste Einrichtungen22 zentrale Regierungsstellen42 weitere Einrichtungen (darunter 2 staatlicheVersorgungsunternehmen, 2 Universitäten, 2Forschungsinstitute und 34 öffentliche Krankenhäuser unterder Kontrolle des Gesundheitsministeriums)Berichterstattung über die subzentrale Regierung:einschließlich Hanoi and Ho Chi Minh CityAusschluss von Präferenzen fürKMUBreiter Ausschluss
Schaffung von AusgleichenBasierend auf dem Wert eines AuftragsIV. BEILEGUNG VON INVESTITIONSSTREITIGKEITENInvestitionsstreitigkeiten könnten nun im Rahmen von EVIPA beigelegt werden. Bei solchenStreitigkeiten (z.B. entschädigungslose Enteignung oder Diskriminierung von Investitionen) kann einInvestor den Streitfall dem Investment Tribunal zur Beilegung vorlegen. Um die Fairness undUnabhängigkeit der Streitbeilegung zu gewährleisten, wird ein ständiges Tribunal aus 9 Mitgliedernbestehen: jeweils 3 Staatsangehörige, die aus der EU und Vietnam ernannt werden, sowie 3Staatsangehörige, die aus Drittländern ernannt werden. Die Fälle werden von einem dreiköpfigenTribunal verhandelt, das vom Vorsitzenden des Tribunals nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wird.Damit soll auch eine kohärente Rechtsprechung in ähnlichen Fällen gewährleistet und dieStreitbeilegung vorhersehbarer gemacht werden. EVIPA lässt in einzelnen Fällen auch zu, dass eineinzelnes Mitglied des Tribunals die Streitigkeit verhandelt, wenn der Kläger ein kleines odermittleres Unternehmen ist oder die Entschädigung für geschädigte Forderungen relativ gering ist. Diesist ein flexibler Ansatz, wenn man bedenkt, dass Vietnam immer noch ein Entwicklungsland ist.Falls eine der Streitparteien mit der Entscheidung des Gerichts nicht einverstanden ist, kann sie beimBerufungsgericht Berufung einlegen. Dies unterscheidet sich zwar vom üblichen Schiedsverfahren, istjedoch dem zweistufigen Streitbeilegungsmechanismus in der WTO (Panel and Appellate Body) rechtähnlich. Dieser Mechanismus könnte, unserer Meinung nach, Zeit und Kosten für das gesamteVerfahren sparen könnte.Der endgültige Vergleich ist bindend und von den örtlichen Gerichten hinsichtlich seiner Gültigkeitdurchsetzbar, mit Ausnahme eines Zeitraums von fünf Jahren nach Inkrafttreten von EVIPA (sieheweitere Anmerkungen im Kapitel über den Rechtsweg des Rechtssektorkomitees).V.FAZITSobald EVFTA und EVIPA von Vietnam ratifiziert sind, werden sie ein nachhaltiges Wachstum undgegenseitige Vorteile in mehreren Sektoren schaffen und ein wirksames Instrument zum Ausgleichder Handelsbeziehungen zwischen der EU und Vietnam sein. Vietnam unternimmt kontinuierlicheAnstrengungen und Fortschritte, um die hohen Standards der beiden Freihandelsabkommen zuerfüllen, und bietet ausländischen Unternehmen in Vorbereitung auf den Abschluss derFreihandelsabkommen derzeit größere Möglichkeiten. Es ist jetzt an der Zeit, dass ausländischeInvestoren ihre Geschäftspläne in Angriff nehmen und die sich bietenden klaren Chancen nutzen.

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Bitte kontaktieren Sie den Autor Dr. Oliver Massmann, Generaldirektor von Duane Morris Vietnam LLC unter omassmann@duanemorris.com wenn Sie Fragen zu dem Inhalt haben. Dr. Oliver Massmann ist Mitglied des Aufsichrates der PetroVietnam JSC Holding und der einzige auslaendische Anwalt, der Vortraege in vietnamesischer Sprache vor den Mitgliedern der vietnamesischen Nationalversammlung haelt.

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