I. Überblick
Vietnam behauptet sich auch inmitten globaler Herausforderungen als eine der dynamischsten Volkswirtschaften der Welt. Internationale Finanzorganisationen wie ADB, UOB, Standard Chartered und der IWF prognostizieren dem Land für 2024 ein BIP-Wachstum von 5,8 bis 6,7 Prozent, was Vietnam einen Platz unter den 20 wachstumsstärksten Volkswirtschaften der Welt sichert.
Davon profitierte auch die vietnamesische Mittelschicht, die derzeit 13% der Gesamtbevölkerung ausmacht und bis 2026 auf 26% steigen soll. Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt, die beiden größten Städte Vietnams, gehören laut dem „City Momentum Index 2020“ bereits zu den dynamischsten Städten weltweit. Niedrige Kosten, ein starkes Bevölkerungswachstum sowie ein rasch wachsender Verbrauchermarkt ziehen erhebliche ausländische Direktinvestitionen (FDI) an.
Nicht zuletzt kurbelte die Umsetzung des Freihandelsabkommens zwischen Vietnam und der Europäischen Union (EVFTA) das beiderseitige Handelsvolumen an, das in den ersten vier Monaten nach der Umsetzung (August-November 2020) 17,8 Mrd. USD erreichte und somit zu einem Anstieg von 2,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum führte.
II. Business-Knigge
Für erfolgreiche Geschäftsbeziehungen sind Kenntnisse und die Berücksichtigung der kulturellen Regeln und Gepflogenheiten des Landes unverzichtbar. In Vietnam sprechen sich die Menschen mit dem Vornamen an, wobei im persönlichen Umgang miteinander auf Seniorität und Hierarchie großen Wert gelegt wird. Wichtig sind dabei die Höflichkeitsanreden „Anh“ und „Chị“ vor den Vornamen für ältere Kollegen bzw. Kolleginnen.
Im Geschäftsleben ist es zudem üblich, zuerst der ranghöchsten Person die Hand zu schütteln und ihr Visitenkarten oder andere wichtige Unterlagen zu überreichen. Die Visitenkarten sollten sowohl in englischer als auch vietnamesischer Sprache verfasst sein und mit beiden Händen übergeben bzw. entgegengenommen werden. Geschäftsunterlagen sollten dringend ins Vietnamesische übersetzt werden.
Vietnamesische Geschäftsleute bevorzugen Investoren, die ihnen über eine gegenseitige Verbindung vorstellt wurden, gegenüber einer Kaltaquise. Um Geschäftswillen und Respekt vor der Sprache zu demonstrieren, ist es ratsam, im Vorfeld einige vietnamesische Redewendungen zu lernen.
III. Internationale Rechtsinstrumente: EVFTA, EVIPA und CPTPP
Zwischen 2018 bis 2020 unterzeichnete Vietnam wichtige strategische Abkommen, darunter das Freihandelsabkommen mit der EU (EVFTA), das begleitende Investitionsabkommen (EVIPA) sowie die Umfassende und fortschrittliche Vereinbarung für eine Trans-Pazifische Partnerschaft (CPTPPS). Sie spielen eine äußerst wichtige Rolle, Vietnam als attraktiven Wirtschafts- und Investitionsstandort zu positionieren. Ziel der EVFTA ist es, durch Liberalisierungen und einen erleichterten Marktzugang für europäische Unternehmen die Handels- und Investitionsbeziehungen zwischen Vietnam und der EU zu stärken und die Entwicklung Vietnams zu einem asiatischen Produktionszentrum voranzutreiben. Ebenso wurde im Rahmen des Warenverkehrs durch das EVFTA die Einfuhrzölle für gut die Hälfte aller Zolltarifpositionen abgeschafft. EVIPA und CPTPP schaffen die Möglichkeit der Schlichtung von Investor-Staat-Streitigkeiten (Investor State Dispute Settlement, ISDS) vor internationalen Schiedsgerichten, was zu mehr Rechtssicherheit, Durchsetzbarkeit und Schutz für Investoren führt.
IV. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Vietnam
Wie wichtig KMUs in Vietnam sind, lässt sich anhand von Zahlen verdeutlichen. Nach Angaben des vietnamesischen Ministeriums für Planung und Investition sind in Vietnam rund 900.000 Unternehmen aktiv, von denen mehr als 97% KMUs darstellen. Sie generieren bis zu 45% des nationalen BIP und 31% der Haushaltseinnahmen und beschäftigen zusammen mehr als 5 Millionen Menschen.
Nach Artikel 6 des Gesetzes Nr. 39/2018/ND-CP wird zwischen Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen unterschieden. Die Einordnung als KMU im Sinne des Gesetzes erfolgt dabei anhand von zwei Kriterien: Einerseits dem Sektor, in dem das Unternehmen tätig ist, und andererseits der durchschnittlichen Beschäftigtenzahl, des Jahresumsatzes sowie des Investitionskapitals.
Der Großteil der KMU ist im Handels-, Dienstleistungs- und Industriesektor angesiedelt, vor allem in den Bereichen des traditionellen Handwerks, der Rohstoffgewinnung und –produktion (Mineralien, Meeresfrüchte, forstwirtschaftliche Erzeugnisse), der Verarbeitung, Montage und Herstellung von Hightech-Produkten (Maschinen, Elektronik, Chemikalien, Messgeräten, Motoren, etc.). In der jüngeren Vergangenheit gewannen auch Start-Ups zunehmend an Bedeutung, die ebenfalls als KMUs eingestuft werden. Derzeit existieren mehr als 3.000 aktive innovative Start-Ups, die überwiegend von Start-Up-Fonds aus den USA oder Singapur finanziert werden.
Trotz ihrer herausragenden Bedeutung für die vietnamesische Wirtschaft stehen KMU jedoch vor Herausforderungen, insbesondere beim Zugang zu Krediten. Viele Finanzinstitute zögern aus, Kredite an KMUs zu vergeben, da diese oft rentabel sind oder nicht über ausreichende Sicherheiten verfügen. Daher hat die vietnamesische Regierung Anstrengungen zur Verbesserung des Kreditzugangs von KMU unternommen, insbesondere durch die Errichtung eines KMU-Entwicklungsfonds (SME Development Fund, SMEDF) und eines Kreditgarantiefonds (Credit Guarantee Fund).
Darüber hinaus sorgen junge, technikaffine Arbeitskräfte, die zunehmende Vernetzung und die Präsenz zahlreicher globaler Technologieunternehmen dafür, dass sich technologische Innovationen im Land und bei den ortsansässigen KMU schnell verbreiten und umgesetzt werden.
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Bei Fragen und für weitere Einzelheiten steht Ihnen Dr. Oliver Massmann unter omassmann@duanemorris.com gerne zur Verfügung. Dr. Oliver Massmann ist Generaldirektor von Duane Morris Vietnam LLC